Blick ins Archiv
Politische Kommunikation vor 70 Jahren:
„Ihr Kandidat stellt sich vor“

Vor genau 70 Jahren flatterte ein – heute würde man sagen – Flyer in die Haushalte der Stadtteile Hoheluft, Eppendorf, Groß Borstel, Alsterdorf, Fuhlsbüttel und Langenhorn. Post von Helmut Schmidt war das. Ein Name, der einer großen Mehrheit der Adressaten wohl kaum bekannt war. „Ihr Kandidat stellt sich vor“ – so war die Wahlwerbung zur Bundestagswahl überschrieben. Die Lektüre lohnt auch sieben Jahrzehnte später. Ein Blick ins Archiv.

Blick in die Ferne: Helmut Schmidt stellt sich vor.

Karriere in der Politik?

Ja, die wollte Helmut Schmidt. Und zwar von Anfang an. Mit Vehemenz. Im September 1953 war das Ziel des damaligen Amtsleiters für Verkehr in der Hamburger Wirtschaftsbehörde der Einzug in den Bundestag.

Dass es dem Wahlvolk um die Person, oder treffender noch: um den Menschen Schmidt gehen würde, das war dem aufstrebenden Politiker wohl bewusst. Er ging deshalb neue Wege. Der Wahlkampf-Kurzfilm des Freundes Gyula Trebitsch, seines Zeichens Filmschaffender, gehörte dazu. Mit einem VW-Bus transportierte Schmidt Leinwand und Projektor, um vor gut frequentierten U- und S-Bahnhöfen sein Publikum zu finden.

Selbstverständlich beschränkte sich Schmidt aber nicht auf einen Kanal. Die Kraft des geschriebenen Wortes spielte er mit einer Broschüre aus, die er im August in die Haushalte seines Wahlkreises ausliefern ließ. Das Werk ist eines der vielen Dokumente im Helmut-Schmidt-Archiv, die das Leben und Wirken des Altkanzlers nacherzählen.

Die querformatige Broschüre umfasst sieben Seiten Text, in der Mitte einfach getackert. Das Cover ziert ein Porträt des Kandidaten im Halbprofil, mit einem extrem tiefsitzenden Seitenscheitel und einem Blick, der gedankenverloren und doch klar in die Ferne weist.

Zur Ansprache

Es folgen einige Zeilen „Zur Person“ und dann „Zur Sache“. Der damals 34-Jährige referiert seinen Lebenslauf und zeichnet den roten Faden seiner Politisierung nach, die bei seiner Frau nicht auf Begeisterung stieß. Eigentlich habe er sich auf seinen Beruf konzentrieren wollen. „Meine Frau war anfangs sehr enttäuscht, als ich trotzdem nach dem Kriege der politischen Entwicklung in Deutschland sogleich ein brennendes Interesse zuwandte, so daß für unsere gemeinsamen Liebhabereien (Anm.: hier sind Malerei und Musik gemeint) kaum Zeit blieb.“

Wirtschaftlicher Aufbau stehe für ihn im Mittelpunkt

Gleichzeitig komme nur „eine Politik der sozialen Gerechtigkeit“ in Frage. An der SPD hätten ihn die Ideen der Kameradschaft und des Sozialismus überzeugt. Er positioniert sich klar als Wirtschaftspolitiker: „Ich glaube, der Politiker sollte – abgesehen von einer möglichst umfassenden politischen Allgemeinbildung – mindestens auf einem Spezialgebiet Fachmann sein. Jene Leute, die über alles und jedes reden, ohne eine einzige Sache wirklich zu beherrschen, scheinen mir in Politik und in Publizistik ein Übel.“

Danach entwirft er seine verkehrspolitischen Ziele: Er wolle Ordnung in die Infrastruktur bringen – Eisenbahn, Schifffahrt, Luftverkehr, Autobahnbau, auch Straßenbahnbau. Die Unordnung im Straßenverkehr nimmt er als Sinnbild für die Unordnung in der deutschen Verkehrspolitik, genauso aber auch für „den Wirrwarr der Sozialversicherung und das undurchsichtige Dschungel der Steuern“. (Nein, kein Schreibfehler. Früher war es nicht unüblich, „das Dschungel“ zu sagen.)

Gefettet bringt Schmidt seine wichtigste Botschaft. Der rhetorisch versierte Redner Schmidt ist bereits aus den Zeilen hörbar:

„So fehlt es in der deutschen Wirtschaftspolitik weitgehend an einer Ordnung und Planung der Grundlinien – gerade wenn und weil im übrigen ein fairer Leistungswettbewerb erreicht werden muß.“

Helmut Schmidt
Auf der letzten Seite der Broschüre fordert Schmidt die Wähler dazu auf, sich ihr eigenes Urteil zu bilden.

Er verweist dann noch auf seine Wahlkampf-Auftritte und bietet den persönlichen Austausch an. Sein Brief endet so: „Zum Schluß, verehrter Leser, eine Bitte: Lassen Sie sich bei der Wahl weder von dahergeredeten Schlagworten noch von politischen Vorurteilen beeinflussen. Ihr eigenes Urteil muß entscheiden und, nicht zuletzt, Ihr eigenes Herz.“

Auch wenn er im September 1953 den Wahlkreis 18 im Bezirk Nord nicht direkt gewinnen konnte, reichte es für Helmut Schmidt doch über die Liste. Er zog als Abgeordneter in den zweiten deutschen Bundestag ein.

Fotos: Helmut-Schmidt-Archiv