Schmidt-Gespräche #3

Schmidt-Gespräch über den Ukraine-Krieg und seine Folgen für Europa

Im Wohnzimmer von Helmut Schmidt spielten Diskussionen über internationale Politik immer eine große Rolle. Auch wenn der Hausherr selbst nicht mehr mit am Tisch sitzen kann, so lebt diese Tradition in den Schmidt-Gesprächen in Langenhorn fort. Die Atmosphäre der Räume inspiriert auch heute noch. In der vergangenen Woche sprachen Expertinnen und Experten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien über das Ost-West-Verhältnis innerhalb Europas vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs – mit einem besonderen Blick auf die Rolle Polens.

Die Anregung für dieses Schmidt-Gespräch kam von Almut Möller, Staatsrätin für internationale Beziehungen in der Hamburger Senatskanzlei. Sie hatte schon am ersten Schmidt-Gespräch im vergangenen Jahr zur Klimapolitik teilgenommen. Zu Gast war diesmal unter anderem der frühere Botschafter Polens in Deutschland und den USA, Janusz Reiter, der mit einem Impulsvortrag in das Thema „Ost. Macht. West. – Wie wird in Europa der Krieg im Osten den Westen verändern?“ einführte. Reiter ist Präsident und Gründer des Center for International Relations in Warschau und war mit dem früheren Hausherrn und Altkanzler gut bekannt. Dass er der Runde auch von den regelmäßigen Treffen mit Schmidt berichtete, ergab sich von selbst.

Die Kernfrage

Kernfrage des Gesprächs waren die Herausforderungen der EU im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Krieg in der Ukraine. Der Krieg wurde als Schock oder auch als ein Kipppunkt bezeichnet, nachdem die Gesellschaft jahrelang nur auf Wohlstand fixiert gewesen sei, Sicherheit als natürlich-gegeben erachtet und die sich entwickelnden Risiken in Osteuropa nicht realisiert habe. Die Runde diskutierte aber auch daraus erwachsende Chancen, dass Europa sowohl im Inneren als auch im Hinblick auf die Sicherheit nach außen enger zusammenzuwachsen könne. Reiter verwies auf die politischen Ressourcen, die die EU im Ostseeraum nicht nur mit den baltischen Staaten und Polen, sondern auch mit Schweden und Finnland habe.

Aus wissenschaftlicher Sicht wurde eine Neuorientierung besonders in der jungen Generation gefordert. Osteuropa dürfe nicht mehr nur „zweite Wahl“ für Ausbildung und berufliche Perspektive junger Menschen sein. Der Ostseeraum könne hier neu entdeckt werden.

Auch für die Wirtschaft habe der Krieg die Perspektiven stark verändert. Während auf der einen Seite die Abhängigkeiten sowohl von Russland als auch von China abzubauen seien, müsse Europa auf der anderen Seite die eigenen Potenziale zu erkennen und zu bündeln lernen.

Im Mittelpunkt der Diskussion standen immer wieder die deutsch-polnischen Beziehungen. Reiter betonte, dass Polen und Osteuropa bislang zu wenig als Partner innerhalb Europas wahrgenommen worden seien. Er nannte die Krise eine Chance, sich näher zu kommen und innerhalb Europas Verantwortung füreinander zu übernehmen.

Zum Format Schmidt-Gespräche:

Das Haus von Helmut und Loki Schmidt war stets ein Ort politischer und gesellschaftlicher Diskussionen. Staatsoberhäupter saßen beim früheren Bundeskanzler und seiner Frau im Wohnzimmer oder an der Hausbar. Seit 1985 lud Helmut Schmidt regelmäßig die Freitagsgesellschaft zu sich nach Hause ein: 25 Männer und Frauen, die im Winterhalbjahr immer am zweiten Freitag im Monat zusammenkamen, um über Themen aus Politik, Kultur, Wissenschaft oder Wirtschaft zu diskutieren.

Die Schmidt-Gespräche sind ein Format, das in der Tradition der Schmidts Akteurinnen und Akteure verschiedenster Disziplinen zu aktuellen Themen an einen Tisch bringt. So entstehen Impulse, die im besten Falle gesellschaftlich relevante Debatten voranbringen und unterschiedliche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens miteinander vernetzen.

Es wird ein geschützter Raum geschaffen, der den Teilnehmenden eine ebenso offene wie vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre bietet. Die Helmut und Loki Schmidt-Stiftung ist Gastgeberin der Schmidt-Gespräche auf.

Die Liste der Teilnehmenden

  • Janusz Reiter, ehemaliger Botschafter Polens in Deutschland, Präsident und Gründer des Center for International Relations in Warschau.
  • Dr. Sigrid Evelyn Nikutta, Vorstandsmitglied der Deutsche Bahn AG.
  • Hans-Georg Frey, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Jungheinrich AG.
  • Detlev Wösten, Hansen & Rosenthal Gruppe sowie Vorsitzender des LV Nord im Verband der chemischen Industrie und Vorstand im Industrieverband Hamburg.
  • Almut Möller, Staatsrätin und Bevollmächtigte der Freien und Hansestadt Hamburg beim Bund, der Europäischen Union und für auswärtige Angelegenheiten.
  • Metin Hakverdi, Bundestagsabgeordneter für den früheren Schmidt–Wahlkreis Bergedorf-Wilhelmsburg. 
  • Dr. Barbara Hans, Professorin für Medien- und Kulturmanagement an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg.
  • Dr. Markus Kotzur, Präsident des Europa Kollegs und Professor für Europa- und Völkerecht an der Universität Hamburg.
  • Katja Marx-Gramsch, Programmdirektorin NDR.
  • Anna Engelke, NDR-Redakteurin und Expertin für Sicherheitspolitik.
  • Dr. Anna Sauerbrey, Koordination Außenpolitik bei der ZEIT.
  • Oliver Kohl, Generalmajor und Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr.
  • Stefan Herms, Geschäftsführender Vorstand der Helmut und Loki Schmidt-Stiftung (Gastgeber).

Was hat das mit Helmut Schmidt zu tun?

Das beschriebene Spannungsverhältnis von politischer Willensbildung und wissenschaftlicher Verantwortung prägte in besonderem Maße die Regierungs- und Wirkenszeit von Helmut Schmidt. Einerseits war für Schmidt eine Einbeziehung wissenschaftlicher Expertise stets ausgesprochen wichtig. Andererseits war er dabei auch immer auf das Primat der Politik in der Demokratie bedacht. In diesem Sinne finden auch die Schmidt-Gespräche statt.